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Geschäftsgeheimnisse und Wettbewerbsrecht OLG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2020 – 2 U 575/19 


Geschäftsgeheimnisse und Wettbewerbsrecht
OLG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2020 – 2 U 575/19

In einem Geschäftsgeheimnisprozess fordert die Klägerin von der Beklagten Unterlassungs- und Folgeansprüche aufgrund der Verwendung von Kundenlisten und verschiedener Rezepturen für Klebstoffe und Schaumsysteme. Die Beklagte wurde von ehemaligen Beschäftigten der Klägerin gegründet. Sie ist grundsätzlich auf denselben Geschäftsfeldern wie die Klägerin tätig, doch bestreitet sie in ihrer Tätigkeit als sogenannter „Formulierer“ Rezepturen zu lösungsmittelhaltigen Klebstoffen zu formulieren, sodass keine Produkte der Klägerin vertrieben würden. Zudem seien seitens der Beklagten auch keine Produkte der Klägerin vertrieben worden. Die ehemaligen Arbeitsverträge der Klägerin mit den Gründern der Beklagten enthielten Vereinbarungen über nachvertragliche Wettbewerbsverbote. Diese wurden in einem Rechtsstreit aufgehoben, wobei die Wirksamkeit der Aufhebung als noch immer streitig angesehen wird. Zudem enthielten die Arbeitsverträge der ehemaligen Mitarbeiter Klauseln zur Verschwiegenheitspflicht und zu Aufbewahrungs- und Herausgabepflichten. Die Klägerin war der Ansicht, dass die Beklagte gerade die Verschwiegenheitsverpflichtung verletze, da sie die klägereigenen Rezepturen benutzte. Doch auch das wurde vom Arbeitsgericht in Stuttgart abgewiesen. Zudem erfolgte in den freien Mitarbeiterverträgen eine Regelung zur Geheimhaltung, welche nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ebenfalls gelten sollte. Als die Klägerin an zwei Produktmuster der Beklagten gelangte, welche an einen ehemaligen Kunden der Klägerin ausgeliefert wurde, ließ sie diese auf ihre Gleichwertigkeit mit den klägereigenen Produkten analysieren. Das Ergebnis war eine nahezu gleiche Rezeptur. Eine spätere Analyse ergab die Identität eines von der Beklagten ausgelieferten Produktes mit dem der Klägerin. Zudem seien im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung bei der Beklagten circa 38 GB Daten in mehr als 100.000 Dateien aufgefunden. Eine Vielzahl geheimer Unterlagen enthielt zudem insgesamt 1.500 handschriftliche Rezepturen, die abfotografiert wurden. Zudem wurden etwa 230 Fertigungsaufträge von der Klägerin bei der Beklagten gefunden, welche interne Produktionsvorschriften für die Produkte enthielten. Viele Rezepturen seien in Kalkulationskarten vermerkt worden, wobei die Ordner mit Tarnnamen versehen wurden. Der Gründer der Beklagten erläuterte, er und seine Mitarbeiter verwendeten erheblich andere Rezepturen, als die Klägerin. Zudem habe er keine Betriebsgeheimnisse entwendet. Auch die bei der Beklagten gefundenen Adresslisten seien nie geöffnet oder verwendet worden. Lediglich frei im Internet verfügbare Sicherheitsdatenblätter wurde verwendet. Dass ein Mitarbeiter Rezepturen von der Klägerin abfotografiert hat und diese sodann auf dem Rechner verfügbar hatte, wusste die Beklagte nicht. Diese wurden ebenfalls nicht genutzt.

Nachdem das Urteil am Landgericht erging, wurde Berufung vor dem Oberlandesgericht eingelegt.


zu den Unterlassungsansprüchen bezüglich der Rezepturen:

Dieses stellt fest, dass das Verfahren am Landgericht unter Verfahrensfehlern leide. Darunter sei das Fehlen der bestimmten Formulierung des Klageantrages zu zählen. Die streitgegenständlichen Rezepturen seien präzise zu bezeichnen, damit für alle Beteiligten klar ist, welcher konkrete Verstoß der Streitgegenstand des Verfahrens ist, sodass sich die Beklagte sodann ausreichend verteidigen könne. Ein Verstoß gegen Geheimhaltungsinteressen der Klägerin sei darin nicht zu sehen, da nach dem neuen Geschäftsgeheimnisgesetz streitgegenständliche Informationen als geheimhaltungspflichtig eingestuft werden können. Daraus resultiere die Pflicht der Prozessbeteiligten zur vertraulichen Behandlung und Geheimhaltung eben dieser Informationen. Bei einer Nichteinhaltung dieser Vertraulichkeit können entsprechende Ordnungsmittel ergriffen werden. Erst dann könne entschieden werden, welche hergestellten oder angebotenen Produkte mit denen der Klägerin identisch und damit streitgegenständlich sind. Dies gelte auch, wenn es im Streitfall um den Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nach dem Wettbewerbsrecht geht.

Das Landgericht muss ebenfalls neue Feststellungen bezüglich der Unterlassungsansprüche betreffend die Rezepturen und Produktionsvorschriften treffen. Der Unterlassungsanspruch wird auf das Wettbewerbsrecht gestützt. Dieses enthält in seiner alten, aber zum Zeitpunkt des Verfahrens gültigen, Fassung eine Regelung bezüglich Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse. Die Rezepturen und Produktionsvorschriften gelten als solche Betriebsgeheimnisse. Sie waren nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt und waren auf die speziellen Anforderungen des Kunden zugeschnitten. Diese besagten Geschäftsgeheimnisse müssen jedoch auch entsprechend dem beurkundeten, auf wirtschaftlichen Interessen beruhenden Willen der Klägerin geheim gehalten werden. Der Geheimhaltungswille ergibt sich dabei aus der Bedeutung der Informationen für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Möchte die Klägerin nun diese wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend machen, muss eine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr bestehen. Das beanstandete Verhalten muss als durchgehend rechtswidrig einzustufen sein, um einen solchen Unterlassungsanspruch geltend machen zu können. Die Wiederholungsgefahr muss die Klägerin insoweit darlegen. Entfällt diese Einstufung nur, weil die Klägerin hier nicht schon davor angemessene Schutzmaßnahmen getroffen hat, kann den festzustellenden Verstößen aus dem Wettbewersbsrecht dennoch eine indizwirkende Bedeutung für das Bestehen der Erstbegehungsgefahr für entsprechende Verstöße zukommen, wenn es um Handlungsverbote zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse geht. Daher gilt es seitens des Landgerichtes neu zu entscheiden bezüglich der Differenzierung zwischen der Erstbegehungs- und Wiederholungsgefahr und wann die jeweiligen Voraussetzungen gegeben sind.

Bei der Einordnung als Geschäftsgeheimnis ist jedoch maßgeblich, ob auch angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen wurden. Diese sind nach objektiven Maßstäben zu bestimmen. Dabei ist ein Mindeststandard einzuhalten. Doch hängen die konkreten Geheimhaltungsmaßnahmen auch von der Art des Geschäftsgeheimnisses im Einzelnen und von der konkreten Nutzung ab. Es sollten nur die Personen Informationen erhalten, die die anvertraute Information auch zur Erledigung ihrer Aufgabe benötigen, wohl aber zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Diese Personen müssen ebenfalls Kenntnis von ihrer Verschwiegenheitsverpflichtung haben. Je nach den internen Umständen könnten weitere Maßnahmen zu ergreifen sein. Je stärker die Maßnahmen, desto stärker ist das ergriffene Schutzniveau. Doch kann ein in Kauf genommenes „Datenleck“ zu der Ansicht führen, dass gerade kein angemessenes Schutzniveau vorliegt. Die Klägerin ließ zu, dass Dateien mit Geschäftsgeheimnissen auf privaten Datenträgern gespeichert werden durften. Dies ist in den Augen des Oberlandesgerichtes als „äußerst kritisch“ anzusehen. Ein angemessenes Schutzniveau liege damit nicht vor, wenn der Geheimnisinhaber, hier die Klägerin, zulässt, dass Mitarbeiter Dateien auf privaten Datenträgern abspeichern, ohne diese mit einem Passwort zu schützen. Selbiges gilt, wenn Papierdokumente nicht gegen den Zugriff von unbefugten Personen gesichert sind. Daher sei vom Landgericht nach Zurückweisung der Sache auch detailliert festzustellen, ob ausreichende Geheimhaltungsmaßnahmen zum Schutz der klägereigenen Geschäftsgeheimnisse ergriffen wurden.

zu den Unterlassungsansprüchen bezüglich der Verwendung von Kundenlisten:

Auch hier seien noch Feststellungen vom Landgericht zu treffen. Die Kundenlisten können als Geschäftsgeheimnis gelten, soweit zu den Kunden eine entsprechende Geschäftsbeziehung besteht und sich diese als zukünftige Abnehmer der Produkte erweisen. Hierbei ist in der Regel von einem Geheimhaltungsinteresse auszugehen, da solche Daten gerade nicht in die Hände von Mitbewerbern gelangen sollen. Doch auch hier sind die Feststellungen des Landgerichtes unzureichend, wenn eine wettbewerbsrechtliche Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr zur Verletzung der Pflicht zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen festgestellt werden soll. Denn es ist grundsätzlich kein ausreichendes Indiz dafür, dass die Beklagte, wenn auch von ehemaligen Mitarbeitern der Klägerin gegründet, die Kunden der Klägerin beliefert. Denn der Weg, auf welchem die Beklagte hierbei die Kunden gewonnen haben könnte, ist nicht klar. Aus diesem Verhalten ergebe sich vor allem nicht, ob die Beklagte die streitgegenständlichen Dateien genutzt habe oder nicht. Die Kunden hätten sich ebenfalls aus Eigeninteresse oder aufgrund der Erinnerung an die Gründer der Beklagten als ehemalige Mitarbeiter mit Sitz in hohen Positionen bei der Klägerin wenden können. Doch wurde dies von dem Landgericht ebenfalls nicht gewürdigt. Da insoweit das Wettbewerbsverbot nicht mehr bestand, sei diese Handlung auch nicht als unredlich einzustufen, da kein genereller Anspruch auf die Erhaltung des Kundenkreises besteht.

Sind diese Feststellungen vom Landgericht neu geklärt, können sich weitergehende Ansprüche ergeben. Diese können unter anderem Auskunfts- und Schadensersatzansprüche sowie Ansprüche auf Vernichtung der Daten, genannt in den Klageanträgen, sein.

Anwälte

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Dr. JUR. Nadin Staupendahl

Fachanwältin für IT Recht

ERFAHRUNG & EMPATHIE FÜR IHREN ERFOLG

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Tim Staupendahl

Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

KOMPETENZ & KAMPFGEIST FÜR IHRE KONKURRENZFÄHIGKEIT